„Solche Leute gibt’s hier nicht!“

Die kleinstädtischen und ländlichen Räume Sachsens sind LSBTIQ*-Zone! Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen (LSBTIQ*) gehören hier zur Lebensrealität – und werden doch selten sichtbar. Unsere Ausstellung erzählt ihre Geschichten. Mit dem Smartphone können zusätzlich Interviews abgerufen werden, die die ganze Bandbreite queerer Lebenserfahrungen zeigen. Zu hören sind Personen, die alle eng mit ihrer Region in Sachsen verbunden sind, aber nicht alle konnten bleiben. Denn unterschwellige Formen der Ablehnung wie Vorurteile, Ausgrenzungen und Diskriminierungen sind nach wie vor präsent.

Unsere Ausstellung zeigt, dass die Vielfalt kleinstädtischer und ländlicher Räume in Sachsen nicht in Frage gestellt werden kann. Unsere Gesprächspartner*innen erzählten Geschichten vom Glücklichwerden auf dem Land, aber auch von Zweifeln. Hier trifft ein schwuler Lokführer auf einen selbsterklärten Paradiesvogel und ein trans* Teenager auf eine lesbische Mutter, die sich gerade von ihrem Mann scheiden lässt. Sie zeichnen ein selbstbewusstes und kraftvolles Bild vom queeren Leben im ländlichen und kleinstädtischen Sachsen, um anderen Mut zu machen.

Interviews zur Ausstellung

Maria

„Hier auf dem Land gibt es keine queere Community (=Gemeinschaft). Geben tut’s schon viele, aber die haben meist ihren eigenen kleine Bekanntenkreis. Ein Treffen ist immer eine gewisse Outing-Gefahr. Die Angst, stärker ausgegrenzt zu werden, ist größer als der Zusammenhalt. Auf dem Land müsste man erstmal die Köpfe der Menschen verändern. Ich mache keine Geheimnisse mehr. Ich stelle mich als Maria vor. Mir geht es besser, obwohl sich alles verändert hat. Mut wird auf jeden Fall belohnt. Das erste Mal, wenn du als Frau angesprochen wirst, da fällt dir eine riesige Lawine vom Herzen, da ist man voller Euphorie. Das ist eigentlich ein unglaubliches Gefühl.“

Maria ist eine trans* Frau aus Döbeln und hat im soziokulturellen Zentrum Treibhaus e.V. Menschen kennengelernt, die ihr ohne Vorurteile begegnet sind.

Rahel

„Das gesellschaftliche Konstrukt ist so eng vorgegeben, dass ich erst mit Mitte 40 erfahren durfte, was mit mir los ist. Alle Verwandten, alle Freunde, alle Lehrer bereiten einen darauf vor, dass ich als weiblicher Mensch irgendwann heirate und Kinder kriege. Für mich war das immer als ob man eine Katze gegen den Strich streichelt. Ich dachte immer: „Du gehörst nicht dazu.“ Dadurch, dass ich immer auf der Suche war, hab ich immer Kompromisse machen müssen, weil ich ja auch Teil von was sein wollte, auch wenn es sich nicht 100% stimmig angefühlt hat. Jetzt komme ich zum ersten Mal in meinem Leben in die Situation, dass ich mir etwas ohne diesen inneren Konflikt aufbaue.“

Rahel hat mit ihrem Ex-Partner zwei Kinder bekommen und tastet sich nun schrittweise vor in ein Leben als lesbische Frau auf dem Land.

Leon

„Ich hab schon immer gemerkt, dass ich nicht ‚straight‘ (=hetero) bin. Ich bin seit sieben Jahren als bisexuell bzw. pansexuell geoutet. Ich sage immer: Man verliebt sich in einen Menschen und seinen Charakter. Seit einem Vierteljahr habe ich mich auch festgelegt, mich nicht mehr als Mann definieren zu wollen, sondern als nicht-binär. Und das hat nicht ein einziges Mal zu negativer Kritik geführt. Da wurde mir eher Respekt entgegen gebracht, dass ich mich traue, in einer Kleinstadt offen damit umzugehen. Da war ich so positiv überrascht. Ich möchte Menschen zeigen: Traut euch zu sein, wie ihr seid! Oft ist die Reaktion nicht so schlimm, wie man es selbst erwartet.“

Leon bezeichnet sich selbst als Paradiesvogel und lebt in einer WG in einem Dorf bei Döbeln, weil ihm schon eine Kleinstadt zu groß wäre.

Conner

„Ich lebe in einem Dorf mit drei Straßen. In den Ferien und am Wochenende habe ich gar keinen Bus. Ich brauche mein Moped. Ich genieße es sehr, unabhängig zu sein. Mittlerweile labele ich mich als trans*. Aber das ist zuhause nicht ganz akzeptiert. Es ist unglaublich verletzend, wenn dir wichtige Menschen in deinem Leben sagen, dass es alles nur eine Phase ist. Das zerrt an unserer Beziehung. Ich ziehe meine Kraft aus dem Umfeld, das mich akzeptiert und unterstützt. Meine Mathelehrerin ist ein Mensch, der gerne hilft. Als ich gesagt habe ‚Ich oute mich als trans*‘ war sie sehr, sehr offen und hat sich mit mir gefreut, dass ich meinen Weg gehe.“

Conner sieht seine Zukunft ganz weit weg von dem Dorf, in dem er gerade lebt.

Steve

„2004 habe ich einen Schlussstrich unter mein Leben gezogen. Das war nicht einfach. Du bist in eine Gaststätte gegangen und auf einmal stand da gefühlt eine fünf Meter hohe Mauer, wo vorher der Kneipenwirt mit an den Tresen kam, ‘ne Runde gewürfelt hat. Mit einmal war da Distanz. Es gab aber auch Menschen, die gesagt haben: ‚Schön, dass du den Mut dazu hast, und lass‘ dich bloß nicht davon abbringen!‘ Das waren Menschen, von denen man es nie gedacht hätte. Wenn das alle so sehen würden, wär das mit der Sichtbarkeit gar kein Problem mehr. Man würde überrascht sein, wie viele queere Menschen es selbst in kleinen Orten gibt, wenn sie sich alle zeigen würden.“

Steve lebt in Hohenstein-Ernstthal und nutzt seine Erfahrungen, um andere trans* Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen.

Tom

„Am Anfang dachte ich: ‚Ich bin froh, dass ich weg bin.‘ Aber im Nachhinein bricht es mir jedes Mal das Herz, wenn ich wieder weg muss. Es ist halt ein sehr vertrautes Gefühl dort. Damals hat immer eine Bezugsperson gefehlt oder irgendjemand, mit dem man sich austauschen konnte. Ich hab mich da alleine durchgeboxt und musste viel mit mir selbst ringen und nachdenken. Es ist einfacher geworden, seit ich die Ausbildung zum Lokführer in Dresden mache und dort einige queere Leute kennengelernt habe. Ich möchte den Menschen bewusst machen, dass es nicht schlimm ist, wenn man anders ist, egal ob man auf dem Land lebt oder in der Stadt.“

Tom ist vom Dorf nach Dresden gezogen und hat unter queeren Eisenbahner*innen sein Glück gefunden.

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Die Ausstellung „Solche Leute gibt’s hier nicht!“ ist ein Projekt des RosaLinde Leipzig e.V., des LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V. sowie des Syndikats Gefährliche Liebschaften.

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