Der Kuss hinter der Turnhalle,
die Lieblingsstrecke im Wald,
die Küche der besten Freundin –
die Kleinstädte und Dörfer von Sachsen sind voller queerer Orte und Erfahrungen.
Trotzdem heißt es noch zu oft: „Solche Leute gibt’s hier nicht!“ Unsere Karte tritt den Gegenbeweis an und lädt auf digitale Streifzüge durch Sachsens queere Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte ein.
Aktuelles
Die Karte wird im Oktober 2023 veröffentlicht.
Ihr seid zudem herzlich zu drei Veranstaltungen in Taucha, Döbeln und Markkleeberg eingeladen, bei denen die Karte und deren Eintragungen mit Begleitprogramm vom Projektteam vorgestellt werden.
Mehr Informationen zu den Veranstaltungen unter queeres-sachsen.de/termine.
Über dieses Projekt
Queere Menschen waren schon immer Teil des Gemeindelebens in ländlichen und kleinstädtischen Räumen, davon können wir ausgehen. Doch aufgezeichnet wurde ihre Geschichte selten. Unsere kollektive Erinnerung reicht nur bruchstückhaft ein paar Jahrzehnte zurück. Der Großteil queerer, ländlicher Geschichte wird für uns unsichtbar bleiben.
Unsichtbarkeit bestimmt bis heute Lebenserfahrungen queerer Menschen in den sächsischen Landkreisen. Laut einer aktuellen Studie sind hier im Vergleich zu den Großstädten besonders viele Menschen nicht geoutet (im Schnitt ca. 40%), was vor allem auf Angst vor negativen Reaktionen zurück geht.
„Can you hear us?“ möchte dem etwas entgegensetzen. Die Karte macht Stimmen, Erfahrungen und Sehnsüchte hörbar. In drei Zeitebenen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) wird auf je andere Weise von queeren Erfahrungen in den Landkreisen Leipzig, Nord- und Mittelsachsen erzählt. Die Kartierung bleibt dabei notwendigerweise unvollständig; sie ist als Anregung zum eigenständigen Weitersuchen, aber auch als Einladung zum Fantasieren zu verstehen: Denn da, wo uns Geschichte verwehrt wurde, können wir sie uns zumindest ausmalen.
Das Projekt setzt die Wanderausstellung „Solche Leute gibt’s hier nicht“ fort.
Hintergrund: Queeres Leben in sächsischen Landkreisen
Durch Unsichtbarkeit werden viele queere Menschen in Sachsen strukturell diskriminiert. Zu diesem Schluss kommt eine 2022 erschienene Studie der sächsischen Landesregierung, die sich mit den Lebenslagen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen, nichtbinären, asexuellen und queeren Personen (LSBTIANQ*) in Sachsen auseinandersetzt. Das Schlagwort „Unsichtbarkeit“ ist im Zusammenhang mit Diskriminierungen von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt nicht neu. Die Studie stellt fest: In den sächsischen Landkreisen sind besonders viele Menschen nicht geoutet (im Schnitt ca. 40%, in Großstädten 23%), was v.a. auf Angst vor negativen Reaktionen und den Druck zurück geht, sich immer wieder erklären zu müssen. Queere Strukturen oder Subkulturen für LSBTIANQ* oder kulturelle Angebote, die queeres Leben sichtbar machen, sind kaum vorhanden. Fachkräfte aus den Bereichen Verwaltung, Behörden, Soziales, Bildung, Freizeit, Sport und Kultur sind, ebenso wie die allgemeine Mehrheitsbevölkerung, häufig nicht ausreichend für die Bedarfe und Lebensrealitäten von LSBTIANQ* sensibilisiert. Immer noch ist zu hören, „solche Menschen“ gäbe es vor Ort nicht und andere Themen seien „wichtiger“. Angesichts der Tatsache, dass viele junge (queere und nicht-queere) Menschen aus den Landkreisen wegziehen und der Fachkräftemangel ein überall beklagtes Problem darstellt, überraschen uns solche Aussagen immer wieder. Nicht nur aus der Beratungsarbeit des RosaLinde Leipzig e.V. wissen wir: Queere Menschen leben in jedem Ort in Sachsen und sind potentiell in allen Schulen, Jugendclubs, Freizeiteinrichtungen, Arztpraxen, Gemeinschaftsunterkünften Beratungsstellen, sozialen Einrichtungen, Pflegeheimen oder Vereinen anzutreffen. Ob sie sich outen, hängt davon ab, wie offen und diskriminierungssensibel solche Einrichtungen agieren.
Queere Menschen in den Landkreisen Leipzig, Nord- und Mittelsachsen berichten von Alltagsdiskriminierungen und Anpassungsdruck. Auch Beleidigungen oder körperliche Übergriffe gehören für viele zum Alltag. Queere Personen, die Flucht- oder Migrationserfahrungen haben, mit Behinderungen leben, von Rassismus, Klassismus, Armut betroffen sind oder anders mehrfachdiskriminiert werden, sind besonders gefährdet.
Nicht nur die AfD setzt auf queerfeindliche Kampagnen, die insbesondere queere Bildungsangebote an Schulen in Frage stellen und mit unwissenschaftlichen und diffamierenden Aussagen Eltern und Lehrkräfte verunsichern sollen. Explizit queerfeindliche Aktivitäten der extremen Rechten haben in den letzten Jahren in den Landkreisen deutlich zugenommen. So gab es z.B. queerfeindliche Sticker- und Plakatkampagnen oder Vortragsveranstaltungen. 2022 wurden durch die Jungen Nationalisten und die Freien Sachsen explizit homo- und transfeindliche Gegenkundgebungen zum IDAHIT (Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interfeindlichkeit) in Wurzen und zum CSD (Christopher Street Day) in Döbeln durchgeführt. Queerfeindliche Inhalte werden in solchen Kontexten auch mit antisemitischen Verschwörungserzählungen verknüpft. CSDs und andere Veranstaltungen zu queeren Themen finden in letzter Zeit häufiger in den Landkreisen statt, weil immer mehr Menschen die queerfeindlichen Verhältnisse ändern möchten. Leider müssen diese Formate – auch in Innenräumen – zunehmend unter dem Schutz professioneller Sicherheitsdienste oder der Polizei stattfinden.
Queerfeindlichkeit ist kein neues Phänomen, sondern zieht sich seit Jahrhunderten durch die Geschichte. Die Karte macht historische Kontinuitäten sichtbar und soll dazu beitragen, queerem Leben in Vergangenheit und Gegenwart der Landkreise einen Platz im sächsischen kollektiven Gedächtnis zu sichern.
Beteiligte
„Can you hear us? Queere Orte im ländlichen Sachsen“ ist ein Projekt des RosaLinde Leipzig e.V. in Kooperation mit dem Syndikat Gefährliche Liebschaften sowie dem Netzwerk für demokratische Kultur e.V. Wurzen.
Wir danken allen, die ihre Erinnerungen und Hoffnungen in dieses Projekt eingespeist haben. Ihr tragt auf eure Weise jeden Tag dazu bei, dass die nächsten Generationen selbstbestimmt und sichtbar queer leben können.